Covid-19

Heute ist der 19. März 2020. Wunderschönes Wetter, wolkenloser Himmel, die Sonne scheint. Mir geht es gut und doch habe ich ein mulmiges Gefühl. Unsere aktuelle Lebenssituation wäre Anfang Jahr wohl kaum vorstellbar gewesen. Was ist passiert?

Mitte Januar fing es an. In den Medien und online, vor allem auf Twitter, berichtete man von einem neuen Virus in China, dem Covid-19. Anfangs hiess es, es seien einige hundert infiziert, die WHO berichtete im Januar von chinesischen Forschungen die keine direkte Übertragung zwischen Menschen beweisen konnte. Dann las man von mehreren tausend Infizierten und einigen Toten in der chinesischen Provinz Hubei. Dann änderten die chinesischen Behörden die Art und Weise wie Infizierte gezählt werden und die Zahlen schossen schlagartig in die Höhe. Man berichtete von ersten Infizierten in benachbarten asiatischen Ländern. Die Ausbreitung in Asien nahm ihren Lauf, immer mehr Infizierte, mehr Tote, nationale Notstände, Ausgangsperren und «lockdowns».

Einige verfolgten die Entwicklungen in China und Asien, wenige schienen wirklich besorgt und kaum einer hätte sich heute vor einem Monat vorstellen können, dass es hier bei uns in der Schweiz und fast allen europäischen Ländern auch zu nationalen Notständen führen würde.

Es fällt mir schwer, die Geschehnisse zeitlich einordnen zu können. Laut meinen Recherchen, hat ein chinesischer Arzt bereits im Dezember 2019 von einer Zunahme an Lungenerkrankungen im Zusammenhang mit einem neuartigen Virus gewarnt, der Arzt selber ist Anfang Jahr an dem Covid-19 gestorben, zuvor wurde er von den chinesischen Behörden als «Landesverräter» und Verbreiter von Falschinformationen inhaftiert und angeklagt.

In Europa hat der Virus anfänglich in Norditalien fussgefasst, Anfang Februar wurden in der Lombardei die ersten Fälle gemeldet. Viele fragen sich wohl, weshalb gerade in Norditalien? Die italienische Modeindustrie zählt seit Jahren auf chinesische Gastarbeiter in norditalienischen Produktionsfirmen, günstige Produktion und trotzdem «made in italy». Mittlerweile sind es in Italien mehr als 35'000 Infizierte und die Anzahl neuer Fälle pro Tag steigt noch immer.

Und wie ist die Lage in der Schweiz?

Seit Freitag dem 13. März 2020 gelten in der Schweiz einschneidende Massnahmen des öffentlichen Lebens, diese wurden am Montag 16. März gar noch erweitert und verlängert. Bis (vorerst) zum 19. April 2020 bleiben sämtliche Läden, Restaurants, Bars, Clubs, Theater, Konzertsäle, Schulen, Unis, Bibliotheken etc. geschlossen. Es wird davon abgeraten nach draussen zu gehen, ein «Ausgehverbot» gilt derzeit noch nicht.

Italien hat Ende Februar bereits die Provinz Lodi in Norditalien unter Quarantäne gesetzt, eine Ausbreitung der Zone in Norditaliens folgte am 8. März 2020, mittlerweile gilt dies für ganz Italien. Es handelt sich dabei jedoch auch noch nicht um ein striktes «Ausgehverbot».

Ende Februar war in Luzern und anderen Schweizer Städten noch nichts vom Coronavirus zu spüren, tausende Menschen feierten auf engstem Raum an der Fasnacht. Die Stadt Luzern war überfüllt mit Leuten und guter Stimmung.

«Corona? Nein, ich nehme lieber ein Kaffischnaps!»

Weniger als einen Monat später herrscht gähnende Leere, die Läden sind zu, auf den Strassen sieht man lediglich vereinzelte Menschen und tausende sind ihren Job vorläufig los. Was ist nur passiert?

Wenn ich jetzt aus einem Traum aufwachen würde, wäre ich wohl ziemlich froh. Die Zeichen stehen schlecht, glaubt man Forschern und Virologen, dann wird uns der Covid-19 noch über eine längere Zeit begleiten. Man spricht vom Erreichen einer «kritischen Masse», von monatelanger Isolation aufgrund der Gefahr einer zweiten Welle, die Gefühlslage in sämtlichen Medien und Märkten ist sehr bedrückt, es herrscht Ungewissheit und Angst.

Ich erinnere mich an meine Zugfahrt nach Antwerpen Anfang Februar 2020 und meine Reise nach Paris vor knapp einem Monat. Schon im Zug nach Antwerpen war ich etwas besorgt, ich war damals jedoch noch der Meinung, dass ich einfach zu viel Zeit auf Twitter verbringe und aufgrund der News aus Asien völlig übertrieben reagiere. Ich las beispielsweise von durchgesickerten Dokumenten in welchen zur damaligen Zeit von über 40'000 Toten in China gesprochen wurde, obwohl es offiziell nur wenige tausend waren. Als ich dann Ende Februar nach Paris ging und meiner Freundin sagte, sie soll die Metro doch möglichst meiden und lieber ein Uber bestellen, reagierte sie zuerst ziemlich überrascht aber hat es dann schnell eingesehen.

In weniger als 30 Tagen hat sich unser alltägliches Leben in ein neues, komplett unbekanntes Leben entwickelt. Wie lange wird das noch so weitergehen?

Ich habe mich entschlossen, meine Eltern in den nächsten Wochen, sicher bis zum 19. April nicht zu sehen. Just an dem Tag wird mein Vater 70 Jahre alt, gehört also zur «Risikogruppe». Schon ziemlich surreal, das so runterzuschreiben. Sind unsere Reaktionen angemessen oder völlig übertrieben?

Auch wenn ich zurück denke an letzten Freitag: Ich habe auf YouTube eine Pressekonferenz des Bundesrates zur Verbreitung eines neuartigen Virus geschaut, dann wird mir ganz komisch zumute.

Noch bleibt uns Hoffnung, dass alles doch nicht so schlimm kommt wie viele Experten befürchten. Man arbeitet in Hochtouren an Impfstoffen und Schnelltests. Eigentlich sollte man immer auch die positiven Seiten solcher Katastrophen ins Auge fassen.

Es könnte ja sein, dass wir Menschen nun endlich aufwachen, kritisch nachdenken, gar systemkritisch anfangen zu hinterfragen. Wie leben wir auf unserer Erde? Ist unsere Lebensweise nachhaltig? Was sind unsere Normen und Werte? Was müssen wir ändern, dass uns in Zukunft nicht weitere solche Katastrophen heimsuchen? Heute ist es ein Virus, morgen vielleicht eine Reihe von Naturkatastrophen.

Was ist wichtiger: tausende kleine Unternehmen, Läden und Selbstständige oder multimilliardenschwere Grossunternehmen, Fluggesellschaften und Banken? Wem soll wie geholfen werden in Zeiten einer Krise?

Die US-Notenbank (fed) pumpt derzeit durch Repo-Massnahmen täglich 1000 Milliarden USD in die amerikanische Finanzwirtschaft, amerikanische Fluggesellschaften hoffen auf Multimilliarden-Bailouts, weil sie ihre Gewinne in den letzten Jahren statt angespart in Aktienrückkäufe (in den letzten fünf Jahren: American Airlines 11 Mrd. USD, Delta 10 Mrd. USD, United 8.6 Mrd. USD etc.) und Boni gesteckt haben. Es ist absurd und höchst fragwürdig. Natürlich ist dies nicht nur bei den Fluggesellschaften so, in der Finanzbranche sind die Ausmasse der Aktienrückkäufe noch viel, viel grösser (in den letzten fünf Jahren: JP Morgan Chase 74 Mrd. USD, Bank of America 68 Mrd. USD, Citigroup 61 Mrd. USD etc.).

Schon 2008 hatten viele die Hoffnung, dass das vorherrschende System zusammen mit der Finanzbranche implodiert und sich daraus ein neues, nachhaltiges System entwickelt. Wäre jetzt nicht endlich der «Point of no return» erreicht?

Doch was wollen wir überhaupt? Jeder sollte sich nun die Zeit nehmen nachzudenken. Wie will ich leben? Was bedeuten mir meine Mitmenschen? Welche Werte sind mir wichtig? Was muss sich verändern? Was darf nicht mehr passieren?

Ich hoffe, dass sich unsere Lebensweise nach dieser Krise verändert, denn sonst wird es definitiv nicht die Letzte und schon gar nicht die Schlimmste gewesen sein. /boy1nabe

Luca GnosKommentieren