Ein Nachmittag im Mardi Gras
Er sitzt im Mardi Gras und denkt über die Welt nach. Schaut umher und fragt sich, wie er es verdient hat ein solches Leben geniessen zu können? Schätzen wir es genug? Es ist Montag spätnachmittags um 4:59 Uhr und das Mardi Gras ist gut gefüllt.
Was für ein Leben? Das Leben eines 25-jährigen Studenten, der so privilegiert ist, dass er in den Semesterferien nicht zu arbeiten braucht. „Schätze ich dies genug?“ fragt er sich und meint diese Frage bejahen zu können.
Doch wie sieht es mit anderen aus? Wie viele Menschen leben in der Schweiz und sind sich ihres Privilegs nur begrenzt bewusst? „Viele“ denkt er sich. Wohl zu viele.
Wertschätzung. Was bedeutet das eigentlich genau? Dass man einen Wert zu schätzen weiss. Der Wert wäre in diesem Fall ein mehr oder weniger sorgenfreies Leben in einem Sozialstaat mit funktionierenden Institutionen und den Möglichkeiten sich auszubilden, zu lieben, leben, reisen, lachen, arbeiten, verdienen, abzustimmen, mitzubestimmen, zu helfen. Ein Leben ohne Unterdrückung, Verfolgung, Hunger, Krieg, Flucht, Terror und Angst. Ein Leben in der Schweiz.
Jahr für Jahr wird unsere Heimat als eines der beliebtesten Länder weltweit gewählt, viele träumen von einem Leben in der Schweiz, viele würden töten, flüchten, alles hinter sich lassen, nur für ein Leben in unserer Heimat.
Schätzen wir dieses Leben genug? Wie findet man überhaupt heraus, ob man sein Leben genug wertschätzt?
Man muss hier natürlich auch bedenken, dass nicht jeder in der Schweiz ein Leben eines 25-jährigen Studenten geniessen kann. Viele Menschen in der Schweiz arbeiten viel, für wenig. Arbeiten ist ein zentraler Bestandteil des Lebens in der Schweiz. Leben wir überhaupt ein anzustrebendes Leben? „Ich denke dies muss sich jeder selbst beantworten“ schliesst er aus seinen Gedanken. Viele haben jedoch gar keine Wahl, arbeiten oder...? Was bleibt einem gross übrig?
Trotzdem sollen wir uns nicht beschweren, es gibt genug Menschen, die gerne arbeiten würden und die Möglichkeit dazu nicht besteht, aus verschiedensten Gründen.
Also, schätzen wir das Leben in der Schweiz genug? „Ich finde darauf keine Antwort“ muss er sich eingestehen.
Lass uns einige Gedankengänge durchdenken.
1.)
Schadet der Schweizer Wohlstand jemand anderem? Geht es anderen Menschen schlechter, weil es uns gut geht? Leiden Menschen in anderen Regionen unter unserem Fortschritt?
Ich denke diese Frage ist, wenn man ehrlich ist, einfach zu beantworten. Und zwar betrifft dies nicht nur die Schweiz, sondern viele, wenn nicht alle, westlichen Länder. Ohne Diskussion müssen wir uns eingestehen, dass unser Wohlstand viel mit Leid und Unterdrückung anderer Menschen zu tun hat. Seien es Unternehmen wie Nestlé, Glencore, die Pharmaindustrie, Waffenexporteure wie die Ruag, die Schweizer Privatbanken oder politische Entscheide gegen die Bekämpfung des Klimawandels. Entscheide pro Schweizer Wirtschaft und Wohlstand haben oft negative Konsequenzen für andere Regionen und den dort lebenden Menschen.
„Ich möchte gar nicht weiter auf diese Thematik eingehen, die Geschichte des westlichen Imperialismus, der Kolonialisierung und der daraus folgenden modernen Globalisierung würden den Rahen dieses Gedankenexperiments sprengen“ gesteht er sich ein.
Ist uns dies bewusst?
2.)
Gestehen wir uns also ein, dass unser Wohlstand, auch wenn nur bedingt, auf dem Leid und der Ausbeutung anderer Menschen beruht. Was bedeutet dies nun für uns?
Sind wir schuldig für etwas, das seit Jahrhunderten passiert? Oder sind wir schuldig, dies nicht wahrhaben zu wollen? „Ich denke letzteres“ meint er.
Wir leben in einem System, das auf ewigem Wachstum basiert. Der Kapitalismus geht davon aus, dass die Wirtschaft ewig wachsen kann. Dies ist mitunter ein Grund für den Imperialismus und die Globalisierung, immer mehr und immer mehr. Grund für Unterdrückung, Sklaverei, Ausbeutung, Ausnutzung, Tod, Elend. Das Zeitalter des Imperialismus wird oft als schwarzes Kapitel der westlichen Welt bezeichnet und man blickt mit Reue zurück auf diese Zeit.
Wie sieht das denn heute aus?
Es scheint, als ob reine Wertschätzung nicht zu genügen scheint. Es geht um mehr, es geht um Einsicht, einzusehen auf was genau unser Wohlstand beruht. Es soll nicht alles schlecht gesprochen werden, doch scheint es an der Zeit zu sein, dass man auch unangenehme und kritische Aspekte unseres Wohlstands zu thematisieren beginnt.
Aus Wertschätzung und Einsicht folgt Solidarität. Wir müssen etwas ändern, wir privilegierten Menschen haben die Aufgabe für das Gute einzustehen. Für das Gute für alle, man sollte dem nationalstaatlichen Denken ein Ende setzen. Wir sind alles Menschen, wir leben alle auf der Erde. Es ist Zeit uns alle wieder als Menschen anzuerkennen.
„Ach, was für ein utopischer Gedanke“ denkt er sich.
Es wäre jedoch ein Anfang, seine Privilegien zu schätzen und einzusehen, woher diese Privilegien stammen. Was diese Privilegien für die Welt bedeuten und was man der Welt dafür zurückgeben könnte./lucagns