Arbeiten, um zu leben

Vor ein paar Wochen [mittlerweile Monaten] hatte ich ein Gespräch mit einer Studienkollegin im Zug von Zürich nach Luzern. Ich hatte sie gefragt, ob sie der Meinung sei, dass die Arbeit das ist, was uns Menschen zur Glückseligkeit führt oder ob wir das Glück besser woanders suchen sollten. Ist es erstrebenswert, sagen zu können, dass die Arbeit das ist, was einen glücklich macht? Sollte der Ursprung unserer Glückseligkeit nicht unabhängig von externen Einflüssen und nur in uns selbst gefunden werden?

 Wenn mein Glück von meiner Berufstätigkeit abhängt, dann könnte dies problematische Folgen haben, genauso, wenn mein Glücksempfinden von irgendetwas anderem Externen abhängt. Es ist abhängig von – durch mich nur bedingt kontrollierbaren – externen Faktoren und Entitäten und könnte meine Verhandlungs- und Entscheidungsposition je nach Situation erheblich beeinträchtigen und meine Freiheit somit einschränken. Man könnte quasi als Sklave seines eigenen Glücks enden, da man dieses Glück in gewissen Situationen vielleicht nur bedingt selbst beeinflussen kann, beispielsweise bei einer Kündigung aufgrund einer Insolvenz. Verliert man den Job, verliert man das Glück? Ähnlich würde es in einer Beziehung verlaufen, wenn mein Glück von meiner Partnerin abhängt, dann habe ich je nach Situation auch nur begrenzt Einfluss auf mein eigenes Glücksempfinden. Suche und finde ich meine Glückseligkeit aber alleine in mir selbst, völlig unabhängig von externen Faktoren, dann bin ich Herr über mein Glück und mache mich und mein Glücksempfinden nicht abhängig von anderen.

 Ich denke dies ist eine der wichtigsten Realisierungen, die ich in meinem bisherigen Leben hatte.

Meine Studienkollegin war allerdings der Ansicht, dass es nichts Negatives mit sich bringt, wenn die Arbeit einen glücklich macht – dagegen kann man grundsätzlich nichts einwenden, ausser eben, dass man das eigene Glücksempfinden nicht vollständig davon abhängig machen sollte. Daraufhin diskutierten wir allgemein über die Stellung der Arbeit in unserem Leben und unserer Gesellschaft.

 Wie viele Menschen gehen einer beruflichen Beschäftigung nach, die sie wahrhaftig erfüllt? Wie wird man in unserer Gesellschaft für gesellschaftsrelevante Berufstätigkeiten belohnt? Ist es gut, dass wir [in unserer Gesellschaft] von klein auf darauf getrimmt werden, Karriere zu machen und viel zu verdienen? Ergibt es Sinn, dass wir vierzig Jahre lang auf die Pension hin arbeiten um dann im Alter unsere wohlverdiente Freizeit geniessen können? Wie viel Spielraum für eigene Gestaltungen des Arbeitslebens bestehen und wie schwierig ist es, nicht der Norm zu entsprechen und alternative Arbeitsformen zu leben? Wofür arbeiten wir? Weshalb verbringen wir die meiste Zeit unseres Lebens mit Arbeit?

 Einige dieser Fragen haben wir diskutiert, einige davon sind aus der Diskussion heraus entstanden und einige beschäftigen mich einfach so, wenn ich über Arbeit nachdenke. Zum Zeitpunkt der Diskussion im Zug arbeitete ich in einem 60% Pensum und hatte nebenbei ein zweites Studium [in Philosophie und Germanistik] begonnen. Vor ein paar Tagen habe ich gekündigt und ab September beginne ich eine neue Stelle im 100% Pensum. Das Studium habe ich wieder abgebrochen.

Hat sich in meiner Einstellung gegenüber der Arbeit etwas verändert? Nein. Ich bin nach wie vor der Ansicht, dass mein Glück nicht von der Arbeit oder sonst einem externen Einfluss abhängig ist oder abhängig sein sollte. Trotzdem kann eine interessante und sinnvolle Berufstätigkeit glücklich machen und zu einer wunderbaren Lebensqualität beitragen, man sollte lediglich schauen, dass man nicht in eine Abhängigkeit hineinfällt – so ist es bei allem Äusserlichen und Materiellen. Dieses Ideal zu leben ist unglaublich schwierig und wohl kaum erreichbar, trotzdem sollte es eben als Ideal dienen und versucht werden zu erreichen.

Die Bedeutung der Arbeit für Individuum und Gesellschaft hat sich in der Geschichte der Menschheit stets verändert und wird sich wohl künftig weiter verändern. Wer weiss wie das Berufsleben der Menschen im 22. Jahrhundert aussehen wird. Ich frage mich gerade, was ich mir für die Menschheit des 22. Jahrhunderts für ein Berufsleben wünschen würde, wenn ich frei wählen könnte. Ich glaube, dass wir ein der Schweiz ein optimales Ausbildungssystem haben mit unserem heutigen dualen Schulsystem. Vielleicht sollte man die Bewertungen und die Inhalte der Schule überdenken, mehr in die Natur, mehr Praxis, mehr Politik und Allgemeinbildung und weniger Auswendiglernen und Prüfungs- und Notendruck. Wir benötigen ein Umdenken hinsichtlich der Bedeutung der unterschiedlichen Berufsfelder, mehr Bedeutung dem Sozialen und der Bildung, weniger Fokus auf Privatwirtschaft, Handel und Finanzen.  Wir müssen wohl den Kapitalismus überdenken und weiterentwickeln und umstrukturieren, wir benötigen eine Umverteilung und strukturelle Gerechtigkeit und Chancengleichheit. Arbeit sollte eine von vielen Beschäftigungen sein und nicht den Alltag bestimmen. Eine Welt, in der es die Norm ist, dass man vormittags arbeitet und nachmittags seinen anderen Leidenschaften nachgeht, schwebt mir vor Augen. Privatvermögen existiert zwar, hohes Vermögen wird aber so stark besteuert, dass es kaum erstrebenswert ist. Die reichsten Menschen sind Millionäre und die Ärmsten haben trotzdem noch genug um ein anständiges Leben zu leben. Die Arbeit wird nicht verschwinden und das ist gut so, ihr Stellenwert in unserer Gesellschaft könnte sich allerdings verändern, gemeinsam mit dem Stellenwert des Kapitals. Träumen darf man ja.

Luca Gnos